Bökendorf (red). Sobald Brigitte Labs-Ehlert eine ihrer Ideen in die Tat umsetzt, kann sich das kunstinteressierte Publikum auf ganz besondere Veranstaltungen verlassen. Als Kuratorin hatte sie am am 30. Juli, das Thema „Hecken“, die durch die Literatur und die Musik unvergänglich sind, in den Mittelpunkt gestellt. Und die Region kann in der Tat eine stattliche Zahl von bemerkenswerten und besonderen Hecken aufweisen. Man denke nur an die Nieheimer Flechthecken, die als Immaterielles Kulturerbe der UNESCO die Kulturlandschaft rund um die alte Ackerbürgerstadt formen. An gleich drei verschiedenen Orten fanden nun nacheinander Lesungen und Konzerte statt: vormittags in Schwalenberg, nachmittags in Bökendorf und abends auf Gut Holzhausen, wo eine vom Landschaftskünstler Andy Goldsworthy kreierte neue Hecke aus Weißdornpflanzen entsteht.
Im Kulturmusterdorf Bökendorf ließ das Duo MOVING SOUNDS zu Beginn Musik im einzigartigen Laubengang hinter dem historischen Haus Bökerhof erklingen. Doch bevor es soweit war, machte sich das gesamte Publikum vom Bökerhof aus auf den Weg dorthin. Es mag vielleicht an der entspannten und entspannenden Atmosphäre des Ortes liegen, welches das Publikum mit einer unglaublichen Gelassenheit und ohne Drängelei auf den schmalen Pfad gehen ließ. Geradezu wie dem Rattenfänger von Hameln folgte man den Klängen der Trompete und der Klarinette, die auf eine sehr harmonische Weise miteinander improvisierten. Das Duo MOVING SOUNDS, bestehend aus der Klarinettenvirtuosin Tara Bouman und dem Ausnahmetrompeter Markus Stockhausen, nahm das Publikum gleichsam mit auf eine musikalische Entdeckungsreise. Ihr Programm entscheiden sie oft spontan, entsprechend der Schwingung des Ortes und seiner Akustik. Und so waren die Zuhörer besonders fasziniert, als Stockhausen stakkatoartig in Richtung des 200 Meter weit entfernten Herrenhauses spielte, und dann unglaublich virtuos und verhalten auf sein eigenes Trompetenecho antwortete. Dazu blies der Wind seine eigene Melodie.
Wieder beim Bökerhof angekommen, setzte das Musik-Duo seine Improvisationen fort und hatte offenbar einen guten Draht nach oben. Denn rasende Wolken waren am Himmel zu sehen und ließen immer mal wieder Tropfen fallen, aber nur so viele wie die Zuhörer und die Musik es aushielten. Diese Szenerie passte dann auch zu der dann folgenden Lesung mit Gedichten von Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848), die mehrmals in Bökendorf bei ihren Großeltern und den zahlreichen Tanten und Onkeln zu Besuch war, und Texten von Else Lasker-Schüler (1869-1945). Leider konnte die im Vorfeld angekündigte Schauspielerin Angela Winkler aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen und die Lesung gestalten. Ihre langjährige Partnerin im Kinofilm und auf der Bühne Sibylle Canonica ist kurzfristig eingesprungen und hat sie trotz der nur kurzen Vorbereitungszeit adäquat und professionell vertreten. Sibylle Canonica ist Schauspielerin am Residenztheater München, zuletzt sah man sie im Kinofilm „Sisi & ich“, in der Fernsehserie „Der Pass“ und immer mal wieder im „Tatort“. Das fast aprilartige Wetter mit einem Wechsel von Wolken, Sonne und einigen Regentropfen unterstrich bei der Lesung die Dramatik und unbändige Kraft der Natur, die sich vielfach auch in Drostes Naturlyrik widerspiegelt. Lyriklesungen sind nicht immer einfach. Es handelt sich nun mal um sehr verdichtete Texte, die man beim ersten Zuhören ja unmöglich erfassen kann. Aber Eindrücke und besondere Formulierungen, einzelne Worte treffen den Zuhörer dann doch und ganz besonders die Pausen, die Sibylle Canonica hier setzte, machten die Zuhörer gespannt, wie –oder ob?– es gleich weitergeht. Sehr einfühlsam rezitierte die Schauspielerin Drostes Gedicht „Die Taxuswand“, welches gerade in Bökendorf mit Blick auf das Oberthema „Hecken“ nicht fehlen darf. Das im Winter 1841/42 in Meersburg am Bodensee entstandene Gedicht hat einen starken autobiografischen Hintergrund und ist ein persönliches Bekenntnis der Dichterin. Wie der Droste-Kenner Bernhard Aufenanger aus Bökendorf am Schluss erläuterte, werde in dem Gedicht eine Auseinandersetzung mit einer viele Jahre zurückliegenden verlorenen Liebe in Szene gesetzt, an die sich das sprechende Ich an einer Taxushecke erinnert. 1837 hatte Annette erstmals wieder Bökendorf besucht – den Ort ihrer Liebesbeziehung zu Heinrich Straube, die 1820 aufgrund einer Intrige endete und die zu dem führte, was in der Forschung als „Droste-Jugendkatastrophe“ bezeichnet wird. Da die „Original-Taxuswand“ nicht mehr vorhanden war, wurde Mitte der 1990-er Jahre als kleine Reminiszenz an diese Begebenheiten im Laubengang eine kleine Taxushecke angepflanzt, die einen Steintisch und Bänke umrahmt.
Mit dem Hecken-Festival an drei Orten hat Brigitte Labs-Ehlert, die zugleich das Kulturprogramm der Landesgartenschau in Höxter und das Via Nova Kunstfest Corvey kuratiert, offenbar den Nerv der Zeit getroffen, was durch den guten Zuspruch der zahlreichen Besucher bewiesen wurde.
Foto: Bernhard Aufenanger